Der letzte Eulenruf

16. Juni 2025

"Ich bin nur ein nutzloses Wesen, das niemandem etwas im Leben gebracht hatte.'', bestimmte mein Gehirn, als das Gelächter das Klassenzimmer füllte. Die Stunde zog sich weiter ins Unendliche und das Weiterdenken fühlte sich so an, als hätte jemand gerade mit einer Kreide an der Wandtafel gequietscht. Das letzte Mal blickte ich noch in den leeren Himmel aus dem Fenster seines Klassenzimmers. Der wolkenlose Himmel riss etwas in mir – es war eine Reflexion meines Zustands. Ich spürte mich auf einmal nicht mehr und alles wurde fremder.

Ich verschwand. E

och Martin, identitätslos.

Wie ein Phoenix aus der Asche kam die Klingel zur Rettung und die Klasse verschwand zögernd aus dem Raum. Alle Schüler gingen in die Richtung des Zuges, jedoch nicht Martin. Er ging vollkommen in eine andere Richtung und es zeigte sich eine Landschaft von knospenden Bäumen vor seinen Augen. Seine Beine trugen ihn automatisch durch das Freie. Martin konnte eine Eule hören, wusste jedoch nicht, woher der tiefe Uhu-Klang kam. Der Jugendliche setzte sich hin und erschreckte die Eule - sie flog davon und liess mehrere Blätter runterfallen. Diese Situation erinnerte ihn daran, dass es niemandem wirklich bewusst ist, was in seinem Kopf los ist.

Sein Blick positionierte sich auf die Schulmappe. Nach einer Weile auf die Agenda, worauf die Jahreszahl und seine Klasse stand. Kurz darauf schaute er dann wieder auf die Schulmappe – dieses hin und her blicken repetierte sich noch mehrere Male, bis seine Armbanduhr läutete.

„Es ist so viel Zeit vergangen“, sagte Martin mit Tränen in seinen Augen. Alleine, wie er selbst, ging die Träne runter bis es auf den Boden fiel.

Die sinkende Sonne beobachtend, lief er träumend den schmalen Pfad entlang nach Hause. Vor seinem Haus sah er den Hauswart. Zu sehen war ein alter Mann mit steingrauen Augen, der den Briefkasten putzte.

"Und? Hast du heute viele Brötchen nach der Schule verkauft?", fragte der Mann.

"Nein, gestern kündigte ich.", sagte, auf den Boden guckend, Martin.

"Viele Teste in der Schule, oder?", fragte der Mann. Martin nickte und ging weiter in die Richtung der Haustür, wo es intensiv nachfeinem Essen roch. Seine Mutter und Schwester warteten schon auf ihn.

"Endlich bist du da", sagte die Mutter.

"Ich machte mir grosse Sorgen, Martin'', fügte seine kleine Schwester hinzu.

"Keine Angst, ich war nur im Park, um ein bisschen nachzudenken.", sagte Martin. Sie begannen zu Essen und unterhielten sich.

Trotz der ruhigen Atmosphäre – die Wärme der Familie war in der Luft spürbar – Martins Gedanken wurden immer verschwommener.

Nach dem Essen fragte die Mutter, ob er für die bevorstehende Prüfung bereit sei. Er nickte, obwohl das eine Lüge war. Martin gab mit einem grossen Lächeln am Gesicht ein Plüschtier der Schwester. Aus der Tiefe seines Kleiderschrankes nahm er ein Couvert und versteckte dies in seiner Hosentasche.

Wie eine Raubkatze, die den perfekten Moment spürte, legte er das Couvert auf die Kommode seiner Mutter.

Der Vollmond am Himmel beleuchtete Martins frisch geputztes Zimmer. Am nächsten Morgen kam die Mutter in Martins Zimmer. Die Sicht hat sie erfreut – ihr Sohn hat endlich sein Zimmer aufgeräumt, ohne dass sie ihn dazu bitten müsste. Die kurze Freude erlosch jedoch, als sie das leere Bett sah. Sie rief nach ihm, doch aus der Wohnung kam nur eine Stille, die mit jeder Sekunde lauter in ihrem Kopf wurde. Die Augen der Mutter füllten sich mit Tränen, als das leichte Morgenwind den Brief von der Kommode nahm und ihn vor ihre Füsse wehte. Die Mutter fror und das Einzige, was zu hören war, war der Ruf einer Eule. Einer Eule, deren Flügel in den blühenden Kirschblättern verdeckt waren.